von Kirschbluete
Im Bundestag wurde am 04.06.2016 die Resolution zum Genozid an den Armeniern verabschiedet, nachdem bereits am 16. Juni 2015 ein Antrag aller Bundestagsfraktionen (außer der PDS) zum Gedenken an das Armenier-Genozid von 1915 ohne Aussprache mit den Stimmen des ganzen Hauses angenommen wurde — eine Stellungnahme, die längst fällig war, aber wegen befürchteter türkischer Reaktionen bisher peinlichst vermieden worden war; natürlich auch wegen der Notwendigkeit, damit zu bekunden, daß es neben dem Holocaust auch noch ein anderes Genozid gegeben hat.
Um das abzumildern, griff man auf ein bewährtes, typisch deutsches Mittel zurück: Man betitelte die Antrags-Drucksache nicht nur einfach »Erinnerung und Gedenken an die Vertreibungen und Massaker an den Armeniern 1915«, sondern fügte noch unterwürfig einen Gutmenschen-Satz hinzu:
»Deutschland muß zur Versöhnung zwischen Türken und Armeniern beitragen«.
2015 beklagte der Bundestag (noch unter völliger Vermeidung des Begriffes >Völkermord<) in seinem Beschluß nicht nur die »fast vollständige Vernichtung der Armenier in Anatolien«, sondern beschuldigte das Deutsche Reich, Mordkomplize gewesen zu sein.
Man bedauerte
»die unrühmliche Rolle des Deutschen Reiches, das angesichts der vielfältigen Informationen über die organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern nicht einmal versucht hat, die Greuel zu stoppen«.
Das wäre angeblich möglich gewesen, denn
»das Deutsche Reich war als militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches ebenfalls tief in diese Vorgänge involviert«, und »trotz dringender Eingaben vieler deutscher Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik und den Kirchen. . . unterließ es die deutsche Reichsleitung, auf ihren osmanischen Verbündeten wirksamen Druck auszuüben«.
Der Bundestag als Geschichtsklitterer
Um die schwerwiegende Anschuldigung zu begründen, wurde in dem Beschluß auf eine alte linke Masche zurückgegriffen, indem man das ‚Richtige! falsch interpretiert, so daß das Gegenteil des Gemeinten dabei herauskommt:
»Besonders das Werk von Dr. Johannes Lepsius, der energisch und wirksam für das Überleben des armenischen Volkes gekämpft hat, soll dem Vergessen entrissen werden.«(1)
Zur Erinnerung: Der evangelische Theologe Lepsius hatte in seiner Dokumentation die Massaker ausführlich dargestellt. Sie enthält neben dem diplomatischen Schriftverkehr auch nichtamtliche Briefe und Berichte ab Kriegsbeginn bis zum Oktober/November 1918, besonders die Berichte zur Deportation und Vernichtung vom 24. April bis Dezember 1915, sowie zur anschließenden Zwangsislamisierung und weiteren Vernichtung bis zur türkischen Einnahme von Baku im September 1918.
In der Neuausgabe von 1986 werden im Vorwort schwere Vorwürfe gegen das kaiserliche Deutsche Reich wegen der damals angeblich im Reich erzwungenen Geheimhaltung der Greuel erhoben, und es wird behauptet, Deutschland habe nicht
»alles in seiner Macht Stehende zur Rettung der Armenier unternommen. Deutschlands Schuld lag vermutlich (!) gerade vor allem in unterlassener Hilfeleistung«.
Diese schwerwiegende Anschuldigung wird jedoch weder im Text noch in den Quellenangaben durch Tatsachen belegt, woraus zu schließen ist, daß es diese nicht gibt. Dennoch übernahm der Bundestag ungeprüft diese Vorwürfe; die Dokumentation selbst scheint niemand gelesen zu laben. So trifft es nach Lepsius nicht zu, daß Deutsche, um Armeniern zu helfen, irgendeinen Widerstand ihrer Regierung zu überwinden hatten.
Im Gegenteil: Nach Lepsius hat die deutsche Regierung alles in ihrer Macht stehende unternommen, alle Hilfe gebilligt oder unterstützt, aber wegen fehlender Druckmittel nur wenig erreicht. Sie hat allerdings die aus ihrer Sicht nicht zu verantwortende öffentliche Anklage ihres strategisch unverzichtbaren Verbündeten mitten im Ersten Weltkrieg unterbunden.
Zum Vergleich möge man das Verhalten heutiger Bundesregierungen gegenüber dem menschenverachtenden amerikanischen Vorgehen gegen die Afghanen und Iraker betrachten. Trotzdem wird im Bundestagsbeschluß mit dem Satz:
»Deutschland, das mit zur Verdrängung der Verbrechen am armenischen Volk beigetragen hat« dreist eine »Verdrängungspolitik des Deutschen Reiches« wahrheitswidrig unterstellt.
Dokumentenbeweise
Daß die Dokumentation von Lepsius bereits 1919 unter Verwendung sämtlicher Akten des Auswärtiges Amtes (AA) und der Botschaft herausgegeben wurde, beweist das Gegenteil. Lepsius garantiert im Vorwort „die Zuverlässigkeit des Bildes, das sie (die Akten) von der Haltung der deutschen Regierung in der armenischen Frage geben“, und fügt hinzu:
„Um jedem Verdacht die Grundlage zu entziehen, als ob Aktenstücke, die die deutsche Regierung, die Botschafter und die Konsuln oder deutsche Offiziere, Beamten und Privatpersonen in irgendeiner Hinsicht belasten, von mir unterdrückt sein könnten, habe ich eine so vollständige Auswahl aus der diplomatischen Korrespondenz. . . getroffen, daß die innere Kontinuität des Schriftwechsels für ihre sachliche Vollständigkeit bürgt.“
Lepsius beziffert die Zahl der Opfer auf etwa eine Million, wozu noch ca. hunderttausend im Kaukasus kommen. Anfangs hatte man in der deutschen Botschaft »bei der unvollkommenen Information über die tatsächlichen Vorgänge« an russische Greuelpropaganda geglaubt. Am 7. Juli 1915 berichtete der Botschafter dem Reichskanzler,
»daß die osmanische Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten«.
Diesem Bericht war ein Protest-Memorandum gegen die »Massakres und Plünderungen« beigefügt, das er dem Großwesir bereits am 4. Juli überreicht hatte. Bis 1918 protestierten nacheinander fünf Botschafter und ihre zwischenzeitlichen Vertretungen mündlich und schriftlich bei der türkischen Regierung gegen die Massaker und Deportationen und forderten zum Kurswechsel auf.
Die Korrespondenz beweist, daß Deutsche, auch unter Lebensgefahr, sich sofort vor Ort für den Schutz und das Überleben der Armenier einsetzten. Die deutsche Botschaft und ihre Konsulate waren vielfach Anlaufstellen für Hilfesuchende. Die Akten bezeugen Einsprüche des Reichskanzlers und des Auswärtigen Amtes und ihre Unterstützung deutscher Stellen zugunsten der Armenier im Osmanischen Reich und im Kaukasus.
Das deutsche Militär war zu Beginn der Armenier-Verfolgung mit 75 Offizieren und – 150 Soldaten nur ungenügend vor Ort. In Inner-Anatolien befanden sich bei den türkischen Oberkommandos nur einzelne deutsche Offiziere. Angesichts dieses schwachen Kontingents fühlte sich die Pforte (türkische Regierung) Deutschland gegenüber keineswegs verpflichtet und verbat sich ein Hineinreden in ihre inneren Angelegenheiten.
Quelle: Schutzbrett